Das autobiographische Gedächtnis gilt als identitätsstiftend, doch der Anspruch einer
objektiven Wiedergabe von realem Geschehen darf nicht daran gestellt werden, da
bereits im Augenblick des Wahrnehmens zahlreiche Selektionsfaktoren die
Informationsverarbeitung beeinflussen. Selbst einmal gespeicherte Erinnerungen
bleiben nicht unveränderlich im Gedächtnis. Diese verändern sich einerseits durch
ständiges Abrufen unter verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln, andererseits
passt sich das autobiographische Gedächtnis auch an neue Ausrichtungen eines
Selbstkonzepts an. Je nachdem, wie sich das ideale Selbstbild eines Individuums im
Laufe des Lebens ändert, so verändert sich auch der Blick auf die eigene
Vergangenheit. Wenn man also über die eigene Vergangenheit bereits weiß, dass
diese kein überprüfbares Bild von stattgefundenen Ereignissen liefert, so fällt es
schwer nachzuvollziehen, warum autobiographische Texte mehr als Dokument, denn
als fiktive Geschichte angesehen werden. Warum Autobiographien dennoch als
glaubwürdig erachtet werden, liegt an dem autobiographischen Pakt, in dem der
Name und die Ich-Erzählung des Autors/ der Autorin als Signatur gelten und für die
Realitätsnähe der Erzählung einstehen. Sind autobiographische Erzählungen
nachvollziehbar, so werden diese generell als möglich und demnach als wahr
empfunden und tragen einen großen Teil zu sozialer Interaktion bei. Denn
Geschichten aus dem eigenen Leben geben nicht nur einen Überblick über bisher
Erlebtes preis, sondern lassen auch ein dahinter stehendes Selbstkonzept inklusive
Werte, Prinzipien und Einstellungen erahnen.